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Belgrad: Unter Strom

  • lavieenroute
  • 16. Sept. 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Auf der Suche nach Entspannung, Abschalten und nach sanften südlichen Vibes? Unsere Empfehlung: Weitersuchen. Denn Belgrad ist und hält hellwach.


Sanftes Licht. Ruhige Spätsommertage. Gemütlicher Smalltalk, während auf der Strasse entspannt der Verkehr dahintröpfelt. All das suchen Reisende in der serbischen Hauptstadt vergebens. Belgrad springt dir ins Gesicht. Für überflüssige Formalitäten bleibt kein Raum. Wer die Stadt sucht, die niemals schläft, und wer schon einmal um 23 Uhr enttäuscht durch das menschenleere Manhattan gestreift ist, könnte in der energiegeladenen Balkan-Boomtown fündig werden.
Doch der Reihe nach. Vom Flughafen aus geht es im Tiefflug weiter per Taxi in die Innenstadt. Der Taxifahrer brieft uns, was in den nächsten Tagen alles los sein wird in der Stadt, so ganz nebenbei erhalten wir eine Mini-Sightseeingtour, nur unterbrochen von gelegentlichen Flüchen über andere Verkehrsteilnehmende. Wir lernen: Wer bremst, verliert. Vor allem den Respekt der Taxi-Profis.
Nächster Akt: Der Hotel-Check-in. Mit einem grossen Strahlen werden wir im Courtyard empfangen. Auch wenn das Hotel zu einer internationalen Kette gehört, man glaubt dem Empfangsteam sofort, dass es sich über jeden Gast freut. Wir erhalten einen Stadtplan mit den Top-Highlights und brauchen nach so viel Briefing erst einmal eine kurze Pause. Kurz abkühlen, denn die September-Sonne knallt bei 34°C.
Doch die Stadt ruft, und nach einem extrastarken Kaffee fühlen wir uns bereit, uns ins Gewusel zu stürzen. Über die Knez Mihaila, der zentralen Fussgängerzone und Flaniermeile, bewegen wir uns in Richtung Festung. Im Stadtplan erscheint die Festung grün, und tatsächlich umgibt sie auch ein schöner, gepflegter Park. Wer das mit Ruhe gleichsetzt, staunt: Auf relativ wenig Fläche entdecken wir ein Street-Food-Festival, mehrere Hochzeitsgesellschaften beim Fototermin, einige Stadtführungsgruppen, Sportclubs, ein Event-Team, das eine Theaterbühne abbaut und jede Menge verschiedene Sprachen. Die akustische Kulisse bietet ein Punk-Konzert, das in der ganzen Stadt zu hören ist. Wir spüren: Belgrad lebt. Belgrad steht unter Volldampf. Belgrad reisst dich mit.

Blick von oben: Neu trifft alt und alles dazwischen.

Die Festung hält etliche Überraschungen bereit. Abgesehen vom fantastischen Blick über den Fluss Sava und seine Mündung in die Donau entdecken wir aus Versehen einen Dino-Park und ein Militärmuseum. Die traurige Geschichte des Balkan-Krieges ist eben einem grossen Teil der Bevölkerung noch sehr präsent. Wir lassen uns Zeit, sparen nicht an Kaffeepausen und begeben uns zurück zu unserer gewählten Home-Base.
Langsam wird es kühler, und für uns heisst das: Hunger! Ganz nah beim Hotel entdecken wir auf der Rückseite des Nationaltheaters einen kleinen Cevapi-Laden - Drama Cevapi. Wir hören dort vor allem Serbisch, finden die Preise schwer in Ordnung und geniessen unsere Cevapi frisch vom Grill, begleitet von Krautsalat, frisch gebackenem Fladenbrot und den Pflichtbeilagen Ajvar und Kajmak. Ganz ohne Drama beschliessen wir, uns an diesem Abend kreuz und quer durch die Innenstadt treiben zu lassen. Die Eindrücke des Nachmittags setzen sich auf das Nachtleben übersetzt fort: Die Strassen sind noch voller als tagsüber, Cocktail-Bars, Restaurant-Terrassen, Clubs und Nachtmärkte bringen Menschen zusammen und bilden diese besondere Atmosphäre, die den Metropolen des europäischen Südens zueigen ist. Überall dabei: Livemusik oder zumindest ein DJ. Es ist nicht zu erwarten, dass dieser spezielle „Buzz“ des Belgrader Nachtlebens in den nächsten Stunden deutlich nachlassen wird. Wir hingegen machen heute nicht mit, sondern spazieren zurück ins Hotel und stellen uns auf den nächsten Morgen ein.

Treibstoff für die Nacht: Cevapi ohne Drama.


Unser Plan für den Tag: Belgrad erlaufen. Vom Platz der Republik aus bewegen uns uns kreuz und quer in Richtung Savamala. Während unser Kaffeestop unterwegs eine Frühstückspause ist, treffen wir dort auf eine Gruppe ausgesprochen entschlossener Feiernder, die gerade aus einem Club kommen und darüber beraten, wo es sich morgens am Besten weiterfeiern lässt. Wer bremst, verliert.
Savamala besitzt viele Gesichter. Eines davon ist staubig. Rund um den zentralen Markt Zeleni Venac verändert sich die Stimmung - der Glamour der Innenstadt, die Party-Szene, auch die Touristen, all das scheint plötzlich weit weg zu sein, auch wenn es tatsächlich keine 200 Meter sind. Was wir Wiedererkennen, ist die Energie - beim Bauen, beim Handeln, bei den lautstarken Diskussionen zwischen Grossmüttern und Polizisten oder beim Frühstücks-Lachen auf den Balkonen derjenigen Gebäude, die an Berliner „Plattenbauten“ erinnern. Tito lässt grüssen.
Das Kontrastprogramm dazu heisst „Belgrade Waterfront“ und erstreckt sich hinter dem zentralen, unfassbar chaotischen Busbahnhof hin zur Sava. Hier ist eine Reihe an glänzenden Wohnhochhäusern entstanden, die einen teuren Eindruck machen, vielleicht auch etwas unterkühlt scheinen. Doch die Promenade entlang der Sava mit ihren Cafés, Grünflächen und Foodtrucks ist voller Leben, daher verbringen auch wir hier etwas Zeit und beobachten die vielen Szenen, die sich auf und neben dem Wasser abspielen. Wir erkunden schliesslich auch noch die Street-Art-Highlights von Savamala, zum Beispiel „La Santa de Belgrade“ oder „Waiting for the Sun“.
"Make a wish": Streetart am Wasser.

Unser Lunch fällt knapp aus, schliesslich haben wir für den Abend noch grössere Pläne - doch dazu später mehr. Inzwischen verbringen wir einen gemütlichen Abend im Böhmischen Viertel der Stadt, welches von den handelsüblichen Reiseführern als „Ort mit einem konventionelleren Nachtleben“ beschrieben wird. Gemeint sind damit Folklore-Musiker, die sich von Terrasse zu Terrasse bewegen und die anwesenden Touristen lautstark mit ihrer Präsenz beglücken. Manchen gefällt das. Wir lassen das Treiben auf uns wirken, spazieren durch die Gassen und kreuz und quer durch die Stadt langsam zurück zur Basis, abkühlen.
Bei Sonnenuntergang machen wir uns auf den Weg zum Ufer der Sava, vorbei an den Bootsanlegestellen der Flusskreuzfahrtschiffe. Nur ein bisschen erfreuen wir uns daran dass exakt am gegenüberliegenden Ufer, nur wenige Meter entfernt, eine schwimmende Bar und ein schwimmender Club neben dem anderen liegen. Eine ruhige Flussreise ist in Belgrad nicht im Angebot - auch auf dem Wasser tobt das Leben.

Ruhige Abende am Flussufer: Nicht in Belgrad.

Unser Ziel ist das Restaurant Ambar, denn wir haben gehört, dass es dort möglich ist, sich einmal quer durch die Speisekarte zu futtern - die interessantesten Gerichte der serbischen Küche in Probiergrösse, ein Schnelldurchgang sozusagen. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Probiergrösse ist ein relativer Begriff, und unsere Belgrader Gastgeber sind sehr erfreut über unsere Neugier. Das wiederum heisst: Die 15 Gerichte, die wir im Lauf des Abends serviert bekommen, sind schlicht normale Portionen, zumindest für unsere Begriffe. Wir sind trotzdem mutig und freuen uns an Cevapi, Bohneneintopf, verschiedenen Salatvarianten, Spiesschen, Ajvar und vielem mehr. Unsere Gastgeber sind zufrieden, vermutlich hätten sie die Welt nicht mehr verstanden, hätten wir alles gegessen. Hier geht niemand hungrig nach Hause. Zufrieden sind wir auch, wir staunen noch einmal darüber, wie viel Leben am späten Abend ist, obwohl am nächsten Tag ein Werktag ist - und schmieden bereits Pläne über eine weitere Reise in diese sprudelnde, quirlige Stadt. Vermutlich jedoch nicht per Schiff.

Und das sind nur die Vorspeisen.


Gut zu wissen
La vie en route war im Spätsommer 2023 in Belgrad und mit der Swiss unterwegs. Die reine Flugzeit beträgt rund 90 Minuten ab Zürich, jedoch ist vor allem am Flughafen Belgrad mit langen Wartezeiten zu rechnen. Beachtet auch, dass Serbien nicht in der Schengen-Zone liegt, das bringt Passkontrollen mit sich. Der Flughafen Belgrad scheint sich mitten in einem grösseren Umbau zu befinden, es bleibt zu hoffen, dass sich dadurch die Effizienz dort verbessert.
Der Transfer in die Innenstand dauert mit dem Taxi etwa eine halbe Stunde. Andere Reisende berichten von Taxi-Scams, daher empfiehlt es sich auf Basics wie ein eingeschalteter Taxameter zu achten. Uber gibt es in Belgrad nicht, jedoch bietet ein lokales Taxi-Unternehmen eine recht zuverlässige App an: Pink Taxi funktioniert ähnlich wie Uber oder Bolt und das Unternehmen scheint einen guten Ruf zu haben.

Innerhalb von Belgrad lässt sich vieles mit ein bisschen Zeit zu Fuss erkunden - wenn die Beine müde werden ist Pink Taxi jedoch auch eine bezahlbare Variante.

Wie im Betrag beschrieben waren wir mit dem Courtyard by Marriott zufrieden. Die Lage könnte nicht besser sein und angesichts dessen ist das Haus auch recht ruhig - mit einem Zimmer in der obersten Etage hatten wir jedoch auch Glück.

Unser Restaurant-Highlight war das Ambar mit einer kulinarischen Reise durch die Küche Serbiens. Weniger Gänge hätten es vielleicht auch getan, trotzdem bietet das Ambar eine schöne Kombination aus Lage, Atmosphäre, Herzlichkeit und - natürlich - sehr feinen Gerichten zu fairen Preisen.
 
 
 

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