Kanadas stille Hauptstadt
- lavieenroute
- 11. Okt. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Es gibt diese Reiseziele, die erst den Kopf ansprechen und erst später das Herz. So wie Ottawa, die Hauptstadt dieses riesigen Landes namens Kanada. Der diskrete Charme der Kapitale zeigt sich erst auf den zweiten Blick – und vielleicht liegt genau darin der Reiz.
Vancouver am Pazifik und Halifax am Atlantik sind etwa 6'000 km voneinander entfernt. Genf und St. Moritz hingegen trennt zumindest per Luftlinie etwa ein Zwanzigstel dieser Distanz. Und in der Schweiz gibt es zwar ebenfalls Berge, aber signifikant weniger Blizzards, Bären und Prärien. Ein Vergleich, wie es ist, in den beiden Ländern mit dem Zug unterwegs zu sein, ist darum nicht ganz einfach.
Doch Reisende aus Europa mag es erstaunen, wie gut und häufig die Zugverbindungen zumindest innerhalb des stärker besiedelten kanadischen Ostens sind. Toronto, Ottawa, Montréal und die Stadt Québec sind über Schienen gut vernetzt und regelmässig innerhalb von ein paar Stunden erreichbar.
Uns macht das neugierig, und so treffen wir gespannt an der Union Station in Toronto ein, bereit zur Abfahrt in die kanadische Hauptstadt Ottawa. Erstes Learning: Zugfahren ist in Kanada regulierter als es europäische Reisende kennen. Wie am Flughafen gibt es einen Check-In-Prozess, Gepäckstücke werden gewogen und kritisch für gut befunden, und der Einsteigevorgang beginnt dann, wenn es die Bahnmitarbeitenden der Viarail ankündigen.
Einmal im Zug angekommen sind wir von der Bequemlichkeit der recht neuen Fahrzeuge positiv angetan – die Sitze sind breit, es gibt überall Tische und auch genügend Steckdosen. Viel Platz für schwere Gepäckstücke bleibt allerdings nicht, daher auch die akribische Grössen- und Gewichtskontrolle.
Die Fahrt verläuft zunächst nah am Ufer des Lake Ontario und erlaubt wundervolle Blicke in die Weite dieses riesigen Sees, in den der Bodensee etwa 35 Mal hineinpassen würde. Ein paar Mal hält der Zug an, immer wieder kommt der Kaffee-Wagen vorbei, und schliesslich bewegt sich die Fahrt ins Landesinnere, bevor nach etwa fünf Stunden Fahrt das Ziel Ottawa erreicht ist.
Ein Hauch von Westminster: Grossbaustelle Parlament

Und nun sind wir zunächst etwas ratlos. Ottawa hat etwa eine Million Einwohnende, ist die Hauptstadt eines sehr grossen Landes und ganz erstaunlich ruhig. Ottawa versetzt seine Besuchenden in einen «Far-Away-Zustand». Zumindest zunächst.
Denn am Abend zeigt sich die Hauptstadt in anderen Tönen. Rund um den zentralen Byward Market gibt es so etwas wie ein Nachtleben, aus Bars, Pubs und Restaurants klingt Musik und auf den Strassen sind tiefergelegte Hyundais genauso unterwegs wie eine Spur zu laute Motorräder. Auch die sozialen Herausforderungen, die wir bereits in Toronto wahrgenommen haben, sind in Ottawa sehr sichtbar.
Vielleicht ist Ottawa vielschichtiger als es der erste Eindruck vermittelt. Der nächste Morgen zeigt sich erst einmal strahlend sonnig, genau richtig für einen ausgedehnten Stadtspaziergang. Beginnend mit der Kathedrale, drehen wir eine grosse Runde vorbei an der Nationalgalerie, blicken hinab auf den Rideau-Kanal und hinüber in die Provinz Québec auf die Stadt Gatineau. Gerne würden wir auch das Parlamentsgebäude besichtigen, das jedoch gerade eine Grossbaustelle ist. Darum spazieren wir einmal aussen herum, bevor wir den Rundgang in der Fussgängerzone namens Sparks Street ausklingen lassen.
Je mehr wir uns mit Ottawa beschäftigen, desto mehr stellt sich wieder dieses leichte Wildwest-Feeling ein, das wir schon bei der Ankunft gespürt haben. Die kanadische Hauptstadt versprüht etwas Abgekoppeltes, in Watte gepacktes, eine gedämmte Stimmung.
Sichtbare Ruhe in der Sparks Street, der ältesten Fussgängerzone in Kanada

Doch Ottawa bleibt seinen Gästen im Gedächtnis, vielleicht weil es auf seine Art sehr authentisch ist, weil Overtourism kein Thema ist und weil die Menschen, denen wir begegnen, eine wohltuende Unaufgeregtheit ausstrahlen. Und zwei Highlights erleben wir hier auch noch: Eines davon hat einen politischen Touch. Während des Umbaus des Parlaments lässt sich zwar das Gebäude nicht besichtigen, es gibt jedoch eine Ausstellung und Multimedia-Show, die sich mit der Geschichte des Hauses, des Parlaments selbst und auch mit den Leitlinien des Umbaus beschäftigt. Diese Ausstellung ist kostenlos – und sehr gut inszeniert. Tickets für den grob einstündigen Besuch müssen vorab online gebucht werden.
Das andere Highlight Ottawas ist die Nationalgalerie. Bereits von aussen ist dieses Kunstmuseum nicht zu übersehen – das markante Stahl-, Glas- und Betonbauwerk zitiert die nahe gelegenen Parlamentsgebäude. Doch der eigentliche Reiz liegt im Inneren der Galerie. So bietet sie neben spannenden Ausstellungen eine sehr umfangreiche Sammlung kanadischer Kunst, inklusive Werken der indigenen Bevölkerung – sehr sehenswert und informativ kuratiert.
Top-Stopp: die kanadische Nationalgalerie

Unser kurzer Stopp in Ottawa hätte rückblickend zwar nicht länger sein müssen, doch für ein Wochenende oder einen kleinen Umweg ist die Hauptstadt durchaus lohnenswert, vor allem für Kunst- und/oder Politik-Interessierte.
Wir stellen uns nun darauf ein, auf der weiteren Reise unsere Französisch-Kenntnisse auszupacken – mehr dazu demnächst an dieser Stelle!
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