Wenn Steine sprechen könnten
- lavieenroute
- 18. Juni 2024
- 5 Min. Lesezeit
Sonne, Strand, mediterranes Leben: All das gehört in Malta dazu. Doch die kleine Inselgruppe im Mittelmeer hat schon viel mehr gesehen und zeigt ihre jahrtausendealte Geschichte.
Von oben sieht man Italien, und dann Wasser. Das Flugzeug nähert sich flink der Meeresoberfläche, und wir fühlen uns an den Anflug auf die Färöer-Inseln erinnert. Mit dem Unterschied, dass wir nicht durch den Nebel rasen, sondern durch einen strahlend blauen mediterranen Himmel. Hier soll ein Flughafen sein? Zack, die Landung ist von der rustikalen Sorte, es staubt etwas auf der Piste, doch an Staub werden wir uns auf den knochentrockenen Inseln Maltas über die nächsten Tage gewöhnen.
Erster Stopp: Valletta. Obwohl Teil eines grösseren Ballungsraums, ist die maltesische Hauptstadt selbst recht überschaubar. Mit etwas mehr als 5000 Einwohner:innen spielt sie bevölkerungsmässig in einer Liga mit Appenzell oder Oberammergau und weniger mit Paris oder Prag. Doch Appenzell liegt nicht am Meer, und auch sonst hat die wunderschöne Altstadt viel südlichen Charme. Innerhalb alter Mauern gelegen, wechseln sich enge Gassen mit grosszügigen Plätzen ab, und die Präsenz offizieller Gebäude wie Ministerien, Gerichten oder auch des Parlaments lassen Besuchende schnell verstehen, dass hier nicht nur ein historisches, sondern auch ein politisches Herz schlägt – denn Valletta ist immerhin die Hauptstadt eines EU-Staats.
Wir lassen uns Zeit, spazieren Treppen hinauf und Hügel hinab Richtung Meer, und die Espresso-Kultur lässt das nahe Italien erahnen. Ein kleiner Snack für zwischendurch trägt den Namen Pastizzi, Blätterteig mit Ricotta. Und wir entdecken das mehr oder weniger offizielle Getränk Maltas – Kinnie heisst es, und es erinnert uns ebenfalls an Italien, denn seine süss-bittere Note hat etwas von Sanbitter. Kinnie jedoch ist etwas frischer, orangiger und passt sehr gut zu unserer noch laufenden Umstellung auf Sommer. Darum verbringen wir auch grosse Teile des Nachmittags am und im Hotelpool, bevor wir abends wiederum eine Entdeckung machen, die auch in Catania, Rom oder Bari denkbar wäre: Das Restaurant Grain Street mitten in Valletta – ein Zufallsfund – stellt Pasta Cacio e Pepe her, wie wir sie nicht für möglich gehalten hätten. Vielleicht hat sich die Reise bereits dafür gelohnt.
Der nächste Sonnenuntergang ist nie weit: Valletta hat Charme.

Am nächsten Morgen reisen wir in der Geschichte weiter zurück. Doch dafür stürzen wir uns zunächst in den Linksverkehr. Dem für Kontinentaleuropäer:innen etwas unberechenbaren Fahrstil der Locals passen wir uns schnell an und verlassen die Vororte von Valletta und cruisen über kleinere und grössere Hauptstrassen in die alte Hauptstadt Mdina, auch «stille Stadt» genannt. Warum sie so genannt wird? Das fragen wir uns auch, denn diese Metropole von immerhin knapp 250 Einwohner:innen ist nicht nur sehr überschaubar, sondern besitzt auch ein steinaltes Stadttor, das als Kulisse für Game of Thrones dient und deshalb auf grosses touristisches Interesse stösst. Still erleben wir Mdina also nicht, aber die historische Erhabenheit des Ortes erträgt gelassen das Gewusel der anwesenden Reisegruppen, dem Soundtrack nach aus Korea, Italien und Norddeutschland stammend.
Ein kurzer Moment der Stille in Mdina.

Etwas Stille wäre nun tatsächlich angebracht, und so werfen wir unseren gemieteten Opel an und erkunden über winzige Inselsträsschen die Küstenlinie Maltas. Eine klassische Stand-Destination ist Malta nicht, die Küste ist oft felsig, schroff, spektakulär. Doch das Meer ist tiefblau und der Wind an der Steilküste erfrischt. Gemächlich erreichen wir wieder Valletta und lassen den Nachmittag bei einem eiskalten Glas Kinnie ausklingen.
Tiefblaues Meer, schroffe Küste.

Was uns während der Tage in Malta noch brennend interessiert, ist eine weitere Zeitreise. Doch diese ist etwas aufwändiger und führt den Opel und uns mit Hilfe einer Fähre auf die kleinere Insel Gozo, sozusagen das Geschwisterchen der Hauptinsel Malta, jedoch mit einer sehr eigenständigen Identität. Auf Gozo ist die Ausgrabungsstätte Ggantija unser Ziel. Dort besuchen wir ein Unesco-Welterbe: Ggantija zählt zu den ältesten noch erhaltenen Bauwerken der Menschheit. Bereits vor rund 5600 Jahren wurde hier eine Tempelanlage errichtet – mit bis zu acht Meter hohen Mauern. Diese Mauern sind älter als Stonehenge und älter als die ägyptischen Pyramiden.
In den Tempeln Gozos haben schon damals spirituelle Zeremonien stattgefunden, das Museum vor Ort zeigt ausserdem Spuren von Kunst und den Ritualen, die wir heute «Lifestyle» nennen würden. Und die Menschen haben es bereits vor Jahrtausenden irgendwie geschafft, bis zu 50 Tonnen schwere Steinquader in mehreren Metern Höhe zu verbauen. Etwas ratlos verlassen wir diesen magischen Ort und fragen uns, ob unsere so hoch entwickelte, schnelllebige Zivilisation wirklich so fortschrittlich ist, wie sie es 5000 Jahre nach Ggantija sein müsste.
Was uns jedenfalls in diesem Moment sehr entgegenkommt, ist ein Automobil mit Klimaanlage. Unser nächster Stop ist eine weitere Hauptstadt (es gibt viele davon in diesen Breiten), nämlich jene von Gozo namens Victoria. An den Freestyle-Strassenverkehr haben wir uns zwischenzeitlich gewöhnt, und je kleiner das Fahrzeug, desto unproblematischer ist es auch, halboffiziell zu parken. Wie üblich sparen wir nicht an Kaffeepausen und lassen das ruhige Treiben der kleinen Stadt auf uns wirken, bevor wir wieder die Fähre zurück nach Malta ansteuern.
Wie auch immer unsere Vorfahren dieses Bauwerk errichteten: Wenn diese Steine sprechen könnten...

Am letzten Abend in Valletta machen wir eine Entdeckung. Enge Seitengassen mit Treppen sind in der kleinen Hauptstadt nicht unbedingt ein Hindernis. Denn einige dieser Bars und Restaurants in den Gassen nutzen die Stufen als Architektur für ihre Tische – oder um direkt auf den Stufen zu sitzen, um mit einem Glas Kinnie in der Hand auf das Meer zu schauen. Ok, diese Möglichkeit hatten die Bewohnenden von Ggantija in der Jungsteinzeit wahrscheinlich nicht.
Gut zu wissen
Von Zürich aus gibt es mehrere Flugverbindungen am Tag, sowohl mit Swiss als auch mit KM Malta Airlines. Der Flughafen ist überschaubar mit kurzen Wegen. Das gilt grundsätzlich für ganz Malta. Es gibt ein enges Netz an Bussen, wer aber gerne ausserhalb der Städte unterwegs ist, tut sich mit einem Mietwagen oder Roller sehr viel leichter. Avis in Malta hat uns gut betreut und beraten. Zu beachten für Reisende vom Kontinent: In Malta fährt man links.
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