Wolken über Schengen
- lavieenroute
- 8. Juni 2024
- 4 Min. Lesezeit
Was hat man sich unter einer kleinen Monarchie vorzustellen, die zwischen Frankreich, Deutschland und Belgien gelegen ist und ihre europäische Identität entschieden pflegt? Zeit für eine Entdeckungsreise: An einem langen Wochenende lässt sich Luxemburg gut erkunden.
Wenn man ein neues Land kennenlernt, ist der Weg von einem Flughafen in eine Stadt hinein oft schon aufschlussreich. Wie gross sind die Entfernungen, was kostet ein Ticket, wie dicht ist der Verkehr, wie schwierig ist es, Mobilität zu organisieren?
Luxemburg macht uns sprachlos, denn etwa 20 Minuten nach der Landung stehen wir bereits im Hotelzimmer. Die Busfahrt in die Innenstadt hat uns nichts gekostet, denn der gesamte öffentliche Verkehr in Luxemburg kennt keine Tickets mehr und damit auch keine Automaten, Kontrollen, Entwertungen und ähnliche Rituale. Man steigt in den Bus oder Zug und fährt los. Fertig.
Unkompliziert ist das Stichwort in der kleinen Hauptstadt des Grossherzogtums. Wir spazieren über den Wochenmarkt, ganz selbstverständlich bieten landwirtschaftliche Betriebe aus den umliegenden Ländern dank offener Landesgrenzen ihre Spargeln, Kartoffeln, Würstchen oder Blumen an, natürlich in unterschiedlichen Sprachen. So ganz genau weiss man auch nie, ob man auch Französisch angesprochen wird oder nicht, macht aber auch nichts, denn in einer Stadt, in der der Anteil an Ausländer:innen (was auch immer dieser seltsame Ausdruck bedeuten mag) über 70% der Bevölkerung beträgt, versteht man sich schon irgendwie.
Wir lassen uns Zeit, snacken eine Zimtschnecke und nehmen in einer Outdoor-Bar Platz, von der aus man einen grossen Teil der Innenstadt überblicken kann, vor allem den unteren Teil am Fluss Alzette gelegen. Das Gelände ist rauh, felsig. Die Alzette führt Hochwasser. Dennoch ist die Atmosphäre an diesem Wochenendnachmittag gemütlich, malerisch, märchenhaft beinah. Geschichte ist sichtbar, aber auch die Gegenwart als eines der Zentren der Europäischen Union ist als Skyline am Rand der Stadt fast immer sichtbar.
Verwunschen, malerisch, trotzdem nicht altmodisch.

Im unteren Teil der Altstadt spazieren wir am Fluss entlang und laufen in einer ausgedehnten Schleife wieder hinauf in die Innenstadt. Zeit für eine Pause vor dem Abendessen. Dafür finden wir ein gemütliches Bistro, Sprachenmix inklusive. Dass wir einen Kellner antreffen, der auch als Donald-Duck-Imitator Talente besitzt, haben wir jedoch nicht einmal in Luxemburg kommen sehen.
Wir beginnen den Sonntagmorgen mit einem ausgedehnten Brunch in einem Pop-up-Restaurant, bevor wir uns auf den Weg machen, den gut geschmierten öffentlichen Verkehr auszuprobieren. Mit Tram und Bus erreichen wir nach etwa einer Stunde das Weindörfchen Schengen an der Mosel, direkt an der deutschen und sehr nah an der französischen Grenze gelegen.
Schengen wäre vermutlich nur Weinkenner:innen bekannt, hätte seine Lage nicht dazu geführt, dass ein zentrales Abkommen der europäischen Einigung auf einem Moselschiff unterzeichnet wurde. Häufig Reisende wie wir profitieren massiv von den Vereinfachungen, die das Schengen-Abkommen mit sich brachte, und so sind wir auch gespannt darauf, im Europa-Museum direkt am Fluss mehr über die Geschichte zu erfahren. Lohnt sich ein Besuch? Grundsätzlich ja – denn in Schengen wurde Zeitgeschichte geschrieben. Dennoch ist das Museum nicht mehr in Top-Zustand, wir haben jedoch erfahren, dass eine Renovierung bevorsteht – vielleicht lohnt sich danach ein Besuch noch mehr. Inhaltlich ist der Besuch sehr informativ, wobei vor allem die Informationen zum Thema Frontex, der Organisation, die die Schengen-Aussengrenzen «überwacht», doch vielleicht etwas spärlich geraten sind und die Kritik an dieser Organisation nicht einmal thematisiert wird.
Vielleicht ist das ein Grund, in Zukunft einmal an die Mosel zurückzukehren. Denn es fasziniert uns selbstverständlich, wie einfach es ist, kurz einmal für einen feinen Spargel-Lunch nach Deutschland zu spazieren, nur um mit Blick nach Frankreich wieder in Luxemburg in den Bus zu steigen, wohin wir von der Schweiz aus am Vortag ohne Passkontrollen eingereist sind.
Auf der Rückfahrt in die Stadt Luxemburg ziehen über Schengen Wolken auf. Wir erleben in diesem ohnehin schon hochwassergeplagten Gebiet ein Gewitter, wie es selten vorkommt. Unser Busfahrer leistet Grosses, denn immer wieder sind auch Strassen überflutet oder eine Hagelschicht macht die Landstrasse glitschig. Daher dauert die Fahrt etwas länger als angenommen – zurück in der Hauptstadt wird es Zeit für einen Kaffeestopp.
Weindorf und Gegenstand von Zeitgeschichte.

Ein abendlicher Spaziergang führt uns in ein lebendiges Pub, das einem steinalten Altstadthaus viel Leben einhaucht. Vermutlich ist diesen Mauern auch nichts menschliches fremd, und das DJ-Mischpult sowie unser Dinner unter einem Fernseher, auf dem Fussball läuft, ist nicht gerade das Wildeste, was hier in den letzten Jahrhunderten passiert ist.
Eine Station haben wir uns noch für den nächsten Morgen aufgehoben. Die exponierte Lage der Stadt Luxemburg auf und unterhalb eines Felsens führt dazu, dass manche Spaziergänge doch eher zu kleinen Wanderungen werden. E-Bikes sind daher ebenfalls populär. Oder man nimmt einfach einen kühn konstruierten Aufzug, der in 90 Sekunden die beiden Stadtteile miteinander verbindet – kostenlos. Wir fahren hinauf in die Oberstadt und steuern das Europaviertel an. An einem Sonntag ist hier nicht besonders viel Betrieb, also staunen wir über die Architektur, bevor wir in der Altstadt über einem Crêpe das Wochenende Revue passieren lassen.
Öffentlicher Verkehr mit Aussicht .

Denn ein kleines bisschen sind wir dem Luxemburger Charme verfallen. Wussten wir zu Beginn der Reise so gar nicht, was uns erwartet, haben wir ein kleines, buntes Land vorgefunden, dessen Menschen wir als gelassen kennengelernt haben. Für einen Finanzplatz, ein politisches Zentrum und Sitz einer Monarchie sind die Vibes in Luxemburg erfrischend bodenständig. Vielleicht ist Vielfalt das Rezept dafür?
Gelassene Vibes: Luxemburgs charmante Hauptstadt.

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